30. Oktober 2014

Wenig beachtet von der Öffentlichkeit entwickeln Forschende Eingriffe in die Atmosphäre, um der Klimaerwärmung entgegenzuwirken. Climate Engineering könnte mit wachsenden Klimaschäden plötzlich zu aktuell werden.

 

Vor wenigen Tagen diskutierten die Staatschefs dieser Welt am Climate Summit in New York die Finanzierung von Emissionsreduktionen zur Milderung der Folgen des Klimawandels. Die Herausforderung wiegt schwer: Rund 35 Milliarden Tonnen CO2 werden aktuell weltweit jährlich ausgestossen. Das Ziel, die Erderwärmung unter global gemittelten 2°C zu halten, ist mit den bisherigen Einsparungen alleine kaum zu erreichen.
Befürworter des «Climate Engineerings» empfehlen deshalb zur Reduktion der Emission von Treibhausgasen neue Ansätze, um dem Klimawandel zu begegnen. Ein Ansatz will CO2 aus der Atmosphäre einfangen und speichern. Von diesen «Carbon Dioxide Removal» (CDR) Technologien ist bisher aber keine im erforderlichen Massstab betriebsbereit. Ein zweiter Ansatz ist das «Solar Radiation Management» (SRM). Beispielsweise könnte das Einbringen von Schwefelpartikeln in höhere Luftschichten der Atmosphäre die Sonneneinstrahlung schlagartig reduzieren. Die genaue Wirkung im komplexen Klimasystem ist schwierig zuverlässig vorauszusagen. Auswirkungen auf Wetterphänomene, die Landwirtschaft und Ökosysteme sind mitzudenken. Eine Anwendung müsste über viele Jahrzehnte fortgeführt werden, um ein sprunghaftes Ansteigen der globalen Temperatur zu vermeiden. Aktuell werden die «drastischeren Massnahmen» des Climate Engineerings, wie das erwähnte SRM, bei Klimaverhandlungen weitgehend ignoriert. Einige Experten vermuten, dass dies daran liegt, dass Regierungen nicht abschätzen können, in welche Richtung sich die öffentliche Meinung dazu bewegen könnte. Sie wollen sich nicht vorzeitig exponieren. Zudem müssten sie sich dem Vorwurf stellen, dass damit Anstrengungen zur Reduktion des CO2-Ausstosses unterminiert würden.

 

Hoher Bedarf für Risikodialog
Angesichts des wachsenden Interesses und der klimapolitischen Dringlichkeit des Themas hat die Stiftung Risiko-Dialog mit verschiedenen nationalen und internationalen Climate Engineering- und Klimapolitikexperten gesprochen. Fast alle haben die Notwendigkeit geäussert, eine öffentliche Debatte mit allen Beteiligten anzustossen. Politik, Forschung und andere Interessenvertreter sollen an einen Tisch gebracht werden, um eine öffentliche Debatte vorzubereiten. Dies deckt sich mit der Empfehlung des Büros für Technikfolgeabschätzung beim Deutschen Bundestag und den Aussagen der Teilnehmenden der ersten internationalen Climate Engineering Conference in Berlin (18.–21. August 2014).

 

Fokus auf Emissionsreduktionen
Die durch die Stiftung Risiko-Dialog befragten Expertinnen und Experten betonen, dass jede Diskussion um Chancen und Gefahren von Climate Engineering nur mit einer gleichzeitigen, verstärkten Bemühung zur Emissionsreduktion stattfinden darf. Diese normative Aussage kommt in der Antwort von Klaus Töpfer gegenüber der Stiftung Risiko-Dialog am Rande der Climate Engineering Conference 2014 am stärksten zum Ausdruck: «Wir müssen alles tun, um zu verhindern, dass wir an einen Punkt gelangen, wo es [SRM] notwendig wird. Der öffentliche Diskurs sollte sich um die Kernbotschaft drehen, dass wir auch unser Verhalten zu Gunsten der Emissionsminderung verändern müssen, und darf nicht der Vorbereitung auf eine künftige Anwendung dienen.»

 

Nur eine breite Diskussion trägt
Aktuell bewegt sich die Diskussion zu Climate Engineering lediglich in kleinen Wissenschaftskreisen. Aufgrund der schnellen Wirksamkeit, der tiefen Kosten und des wachsenden politischen Drucks könnte Climate Engineering aber über Nacht zur einzigen politisch opportunen Lösung erklärt werden. Das Ausbringen von Schwefel in die Stratosphäre könnte mit heutiger Technik sofort umgesetzt werden. Ob ein solcher Einsatz – gänzlich ohne vertiefte öffentliche Auseinandersetzung – aber wünschenswert wäre, ist zweifelhaft. SRM-Massnahmen sind in ihren Auswirkungen kaum abzuschätzen.

 

Meinungsbildung in der Schweiz
Nicht nur international, sondern auch auf nationaler Ebene sollte die Diskussion geführt werden. Dies gilt in speziellem Masse auch für die Schweiz. Schliesslich ist sie ein Forschungs- und Technologiestandort und in den Klimaverhandlungen eine aktive und einflussnehmende Verhandlungsteilnehmerin. Zudem kann eine ausbalancierte Diskussion in der Schweiz helfen, die Forschung in ihrer ganzen Breite mitzugestalten. Dies ist Voraussetzung dafür, dass Auswirkungen besser abgeschätzt werden können. Im internationalen Austausch von Wissen wird eine bessere Kontrolle der Massnahmen, deren Wirkungen und deren Integration in die Planung von eventuellen Korrekturmassnahmen ermöglicht.

 

Schwierige Einschätzung der öffentlichen Meinung
Die aktuelle Einschätzung des Climate Engineering basiert oft auf generellen Wertvorstellungen, wie der Frage, ob der Mensch in die Natur eingreifen darf. Die Dringlichkeit des Klimawandels macht eine Auseinandersetzung spezifisch mit Climate Engineering aber unumgänglich. Viele Implikationen sind zum heutigen Zeitpunkt nicht bekannt. Ihre Identifikation und Gewichtung lässt sich nur im Dialog erarbeiten. In einer ersten Runde könnte beispielsweise zwischen Entscheidungsträgern aus Politik, Behörden, Wirtschaft, Umweltverbänden und Forschung eine Wissensbasis geschaffen werden – als Grundlage für die breite öffentliche Diskussion.

 

Matthias Honegger und Matthias Holenstein