25. November 2021

Zusammenfassung

Am 11.11.21 haben die Stiftung Risiko-Dialog mit dem Kanton Zürich am Impulstag «Partizipation praktisch» einen ersten Schritt unternommen, um miteinander die Partizipation von morgen zu stärken, durch mehr Austausch und gemeinsames Lernen aus Erfolgen und Misserfolgen. Partizipationsfachleute und –interessierte kamen zusammen, um den Blick über den Tellerrand zu wagen, eigene Erfahrungen zu teilen und zu diskutieren. Nachfolgend werden wesentliche Thesen und Erkenntnisse des Tages festgehalten:

 

  • Die Qualität von partizipativen Formaten hängt wesentlich davon ab, wie gut das Ziel mit der angewendeten Methode übereinstimmt
  • Zeit und Mittel für die Rekrutierung marginalisierter Gruppen und viel Kommunikationsarbeit sind zentral für die umfassende Aktivierung der Zielgruppen
  • Ehrlichkeit, Transparenz, Vertrauen und Wertschätzung stellen zentrale soziale Erfolgskomponenten dar
  • Frühzeitige informelle Partizipation stärkt Akzeptanz und Tragfähigkeit von Entscheidungen und ermöglicht Teilhabe für alle Menschen
  • Partizipative Prozesse, bzw. der Austausch mit Personen aus ganz unterschiedlichen Milieus helfen, den eigenen Horizont zu erweitern, andere Realitäten zu kennen und anzuhören, und dadurch Polarisierungsspiralen aufzubrechen

 

Um den an dieser Tagung lancierten wertvollen Austausch auch künftig aufrechtzuerhalten, sind alle Interessierten eingeladen, sich der LinkedIn-Gruppe „Netzwerk Partizipation“ anzuschliessen:

 

 

 

 

Best Practices aus unterschiedlichen Partizipations-Welten am Impulstag «Partizipation praktisch»

Erfahrungen teilen, Neues lernen und ein Netzwerk aufbauen. Dies waren die drei Ziele, die wir – die Stiftung Risiko-Dialog und die Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich – uns für den Impulstag «Partizipation praktisch» vom 11.11.2021 gesetzt haben.

Teilhabe wird heute vielerorts grossgeschrieben und partizipative Formate werden immer beliebter. Seien es Raum- oder Projektplanungen, demokratische Innovationen und E-Partizipation oder Co-Creation von Produkten und Dienstleistungen im öffentlichen und privaten Sektor. Solche Formate erlauben den Einbezug der Bevölkerung, der Betroffenen, der Nutzer*innen oder anderer spezifischer Zielgruppen bei der Gestaltung von Projekten, Prozessen oder Entscheidungen mit dem Ziel, die Qualität, die Akzeptanz und die Nachhaltigkeit der Ergebnisse zu stärken. Viele der Konzepte sind aus Forschung und Praxis schon länger bekannt, doch erst deren Umsetzung in der Praxis zeigt Wirkung. Der Impulstag stellt einen Auftakt dar, um Akteure aus den verschiedenen Teilbereichen wie politische Partizipation, Projektpartizipation oder Inklusion bestimmter Zielgruppen zu vernetzen und Best Practices aufzeigen.

 

Menschen wollen gar nicht immer mitentscheiden, sondern oft auch nur angehört werden

Am Vormittag der Veranstaltung richteten die Teilnehmenden ihren Blick verstärkt auf konzeptionelle und theoretische Fragestellungen rund um Partizipation. Prof. Dr. Anna Kern, Assistenzprofessorin an der Ghent Universität in Belgien, übernahm die erste Keynote. Sie beleuchtete aus Forschungssicht die Herausforderung, dass die Qualität von partizipativen Formaten davon abhängt, wie gut das Ziel mit der angewendeten Methode übereinstimmt. Das Ziel muss auch nicht immer zwingend aktive Mitentscheidung im Prozess sein, sondern je nach Anwendungsbereich und Zielgruppe reicht es manchmal auch Perspektiven anzuhören, ernst zu nehmen und Möglichkeiten der Integration gemeinsam auszuloten. Aus ihrer Sicht ist zudem zentral, dass nicht nur eine „Partizipationselite” teilnimmt und die Klärung der Frage, ob die Ergebnisse partizipativer Prozesse bindend sein sollen. Dies werde gemäss Studien gar nicht immer erwartet, was auf den ersten Blick fürs Publikum erstaunlich war. Gerade was die Einbindung der breiten Masse betrifft, ist es für einen inklusiven Prozess unabdingbar, Zeit und Mittel für die Rekrutierung marginalisierter Gruppen aufzubringen und viel Kommunikationsarbeit zu leisten. Wir erleben oft, dass in partizipativen Prozessen immer dieselbe „Partizipationselite“ teilnimmt.

 

Hohe Konsistenz unterschiedlicher Konzepte

Ziel des Vormittags war auch, sich zwischen verschiedenen Kontexten auszutauschen, auf welchen konzeptionellen Grundlagen die Partizipationsarbeit beruht. Deshalb stellten in einem interaktiven Workshop-Setting anschliessend Referent:innen aus den unterschiedlichsten Organisationen ihre Ansätze vor (siehe Liste unten). Wenig überraschend, lag ein Innovationsfokus bei der Nutzung digitaler Möglichkeiten. Dies geht weiter über den Transfer von analogen Mitteln in die digitale Welt hinaus. So ermöglichen Daten, ein differenzierteres Meinungsbild zu zeichnen und die Diskussion kann Einzelaspekte und Teilargumente direkt gegenüberstellen. Oftmals wurde betont, dass aber nur eine Kombination von on- und offline-Formaten Erfolg zeigen kann.

Matthias Holenstein, Moderator der Veranstaltung und Geschäftsführer der Stiftung Risiko-Dialog, führte wesentliche Beiträge vom Vormittag zusammen: Viele Prozesse müssen sich der Frage stellen, „Was ist Partizipation, was nicht?“ Auch sehen sich fast ausnahmslos alle mit der Herausforderung konfrontiert, die Zielgruppen proaktiv und effektiv zu aktivieren und eine adäquate Erwartungshaltung zu unterstützen. Erfolgsfaktoren partizipativer Prozesse sind neben Ressourcen, Kommunikationsleistungen, der Sicherstellung von Ziel- und Methodenkompatibilität aber insbesondere auch soziale Kompetenzen aller Beteiligten: Ehrlichkeit und Transparenz, Vertrauen und Wertschätzung. Das gemeinsam Ziel der Veranstaltung, Best Practice zur Verfügung zu stellen, wird breit gestützt. Mit diesem positiven Mindset wurde der Vormittag beendet und die Teilnehmenden tauschten sich während des Lunchs weiter aus.

 

Partizipation gegen Polarisierung

Am Nachmittag machte Jacqueline Fehr, Zürcher Regierungspräsidentin, einen inspirierenden Auftakt. Zwar haben wir hier in der direkt-demokratischen Schweiz bereits sehr viel Mitsprachemöglichkeiten, aber es gibt dennoch ein grosses Potenzial in der frühzeitigen Einbindung und Mitwirkung von Personen bei der Entwicklung von Projekten. Zentral ist, dass diese erfolgt, wenn noch Einflussmöglichkeiten bestehen. Dies erhöht nicht nur Akzeptanz und Tragfähigkeit von Entscheidungen, sondern ermöglicht auch politischen Teilhabe für alle Menschen – mit und ohne Stimmrecht, mit und ohne Zugang zur institutionalisierten Politik. Als Beispiel stellt sie das Projekt des Bürgerpanels in Uster vor, wo 20 per Zufallslos ausgewählte Bürger:innen, repräsentativ für die Ustermer Bevölkerung, während zweier Wochenenden Ideen und Empfehlungen für Massnahmen zum Klimaschutz in Uster entwickelten. Ein Pionierprojekt, das bewegt. So äusserte sich eine Teilnehmerin dieses Panels mit den Worten «sie sei zum ersten Mal in ihrem Leben gehört worden”. Jacqueline Fehr betonte noch einen zusätzlichen Effekt, der sich auch in Uster zeigte. Das Format brachte sehr unterschiedliche Menschen zusammen, die sich sonst wohl kaum austauschen würden. Das hilft, den eigenen Horizont zu erweitern, andere Realitäten zu kennen und anzuhören – und dadurch Polarisierungsspiralen aufzubrechen. Den Blick über den Tellerrand wagen – auch ein Ziel dieser Veranstaltung.

 

Gibt es Verlierer:innen partizipativer Prozesse und wie gehen wir mit ihnen um?

Im Nachmittagsforum diskutierten Dr. rer. pol. Jeannette Behringer, Geschäftsführerin Forum Demokratie und Ethik und Matthias Holenstein als Fachexperte für Partizipation rund um risikobehaftete Projekte. Céline Colombo, Projektleiterin Teilhabe beim Kanton Zürich, moderierte das Gespräch und fragte gezielt nach Erfolgsfaktoren und inwiefern sich die Rahmenbedingungen und Möglichkeiten über die Zeit verändern. Jeannette Behringer betont, dass – vereinfacht gesagt – ein gutes Verfahren gelingt, wenn alle Beteiligten mit dem Prozess und den Ergebnissen zufrieden sind. Matthias Holenstein ergänzt hier, dass gerade bei risikobehafteten Projekten wie Infrastrukturprojekten es unrealistisch sei, dass immer alle vollständig mit den ausgehandelten Resultaten zufrieden seien. Diesen «Verlier:innen» gilt es besondere Beachtung zu schenken und ihre Bedürfnisse beispielsweise durch stärkere Integration in andere Projekte zu berücksichtigen. Auch ein Element gegen die Polarisierung. Weiter gilt es gesellschaftlichen Entwicklungen, beispielweise dem veränderten Weltbild jüngerer Generationen, die stärker resiliente Lösungen und schrittweises Vorgehen durch mit Try-and-Error fordern, Rechnung zu tragen.

 

Viele Partizipationswelten – weiter von anderen Erfahrungen profitieren

Interaktive Sessions am Nachmittag ermöglichten anschliessenden Einblicke in innovative Partizipationsprojekte aus unterschiedlichen Welten (siehe Übersicht unten). Die Teilnehmenden erlebten viele Ideen und führten spannende Diskussionen. Abwechselnd erstellten sie zudem partizipativ ein Rich Picture wo sie versuchten den «Partizipationshimmel» und die «Partizipationshölle» zu visualisieren.

Der Erfahrungsaustausch an diesem Impulstag konnte nur dank den vielfältigen engagierten Beiträgen gelingen. Darauf war der Tag auch angelegt. Danke an alle! Die Voten und Stimmung zum Schluss zeigten klar: Gemeinsam Partizipation und Innovation voranzubringen und voneinander über Projektegrenzen und Zielgruppen hinaus zu lernen, dafür war der Impulstag ein gelungener Startpunkt. Zum einen soll die Diskussion und der Austausch rund um gute Beispiele und Grundlagen digital weitergeführt werden. Dazu sind alle eingeladen, sich in der LinkedIn-Gruppe «Netzwerk Partizipation» einzubringen mit Inhalten und Hinweisen rund um das Thema Partizipation. Sie steht bewusst auch weiteren Menschen offen, die nicht an der Tagung mit dabei sein konnten. Die Stiftung Risiko-Dialog plant zudem im nächsten Jahr eine Website aufzuschalten, wo diese Erfahrungen und vorhandenen Grundlagen breit sichtbar gemacht werden. Interessierte können sich jederzeit auch direkt bei uns melden (anna-lena.koeng@risiko-dialog.ch). Wir freuen uns auf die gemeinsame Zukunftsgestaltung!

 

 

Übersicht der konzeptionellen Beiträge am Vormittag

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Übersicht der Praxisbeispiele am Nachmittag

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